Lektion 2, 17.2.25 - Linienarten, Helligkeitsverteilung



1) 3 Linienarten


Alle Warmups bitte auf großem Bogen Papier (min A4, lieber größer) !

Wir haben gestern 3 LINIENARTEN kennengelernt, die ihr zunächst separat erkundet habt und - das ist wichtig!: Ab jetzt als Gestaltungsmittel in allen Zeichnungen einsetzen könnt.


Die Gerade, Gebogene und Unregelmäßige

Beim Zeichnen gilt generell für alle Linien:


- Eine gute Ausgangsstellung!  Am Besten wenn möglich stehend vor dem auf dem Tisch liegenden Papier oder noch besser auf einem schräg aufrecht gestellten Brett (auf Staffelei zB) frei und ungehindert zeichnen.

- Macht euch vor dem ersten Strich die Dimension und Relation der Zeichenfläche (Hochformat, Querformat, Quadrat usw) immer bewußt, am Besten gleich am Anfang durch das umrahmende Festlegen des Spielfeldes.
Das wirkt zunächst erst einmal etwas stur, hat aber den Sinn, euch klar zu machen, dass ihr mit jedem Strich auf einem Blatt die Verhältnisse auf dem Blatt neu gestaltet, da sich jede Linie, jede Spur einer Zeichnung immer auch auf die Ränder des Blattes bezieht und in dieser Relation immer das Gestalten auch schon im kleinsten Element stattfindet.

- Haltet den Stift wie ihr wollt - aber probiert es häufiger, die uns vom Schreiben her vertraute Haltung des aufgestützten "Kontrollgriffs" zunehmend zu lockern, indem ihr den Stift entweder öfter mal weiter hinten greift oder sogar die Haltung komplett wechselt, wie die folgende Zeichnung zeigt:

Rechts der übliche Griff, der Kontrolle schafft. Links die Haltung des Werkzeugs, die große Freiheit und weite Schwünge ermöglicht.

Der übliche Kontrollgriff rechts ermöglicht zwar Präzision, die wir beim Schreiben brauchen, die wir aber beim freien Skizzieren eigentlich bewusst nicht suchen. Der aufgestützte Drehpunkt der Hand begrenzt zu sehr den Radius der Aktion.
Der freie Schwung im großen Radius sogar bis über die Körperdimension hinaus wird durch die Haltung links ermöglicht.
Probiert einfach alle Haltungen und die Zeichenabstände aus, indem ihr alle möglichen Stifte mal vorne, mal in der Mitte oder möglichst weit hinten in verschiedenen Griffen einsetzt.

- Zeichnet immer konzentriert und nicht flüchtig oder linkisch. Lasst euch Zeit und zeichnet selbstbewußt. Lasst keinen beliebigen, schlampigen Anfang oder Ende zu, sondern setzt immer ganz bewußt und mit Aufmerksamkeit für eure innere Spannung und Stimmung die Linien, gleich ob Gerade, Gebogene oder Unregelmäßige!

- Jede Linie hat außer ihrer Art (gerade, gebogen, unregelmäßig)  und ihrem Ziel (zielend heraus/weg oder zu sich zurückkehrend oder irrend, tastend, suchend) auch noch die Möglichkeit,
entweder stark, kräftig, fett oder schwach, fein, zart zu sein - Linienqualität nennen wir das.

Welche inneren und äußeren Bedingungen diese Unterschiede verursachen, werden wir im Laufe der Zeit erarbeiten. Einen wichtigen Faktor habt ihr in der ersten Stunde kennengelernt, indem ihr eine Verbindung hergestellt habt zu euren emotionalen Zuständen, die sich u.a. auch in Linienqualitäten äußern. Versucht einmal den Geraden, Gebogenen und Unregelmäßigen Kraft, Zuversicht, Zögern oder Wut mitzugeben und ihr werdet einen Reichtum der Linienqualitäten erleben.!

- Atmet beim Zeichnen bewusst!



Die Gerade: 

Sie beginnt klar und bewußt an einem Punkt und sucht den direkten Weg zu ihrem Zielpunkt. Sie greift aus, zieht weg und heraus, trennt klar und scharf das Feld, eine gewisse Klarheit, aber auch eine Strenge und Schärfe, ja gewissermaßen "Aggression" ist ihr eigen. Sie ist Vektor, Strahl, Schnitt, Cut, Ecke, Weg, Kante, Kühle, Klarheit, Lineal, Perfektion, Konstruktion, Gedanke, Maßstrich...

Macht bitte den Versuch und setzt beim Zeichnen der Geraden zunächst jedesmal einen klaren Startpunkt A, fasst durch Markierung einen Zielpunkt B ins Auge und schaut beim Zeichnen nicht den Weg, sondern das ZIEL genau an, das ihr nicht unbedingt immer treffen müßt - aber: Es gibt der Linie eine Bestimmtheit und Richtung, auf die es ankommt.

Aufgabe: "Kreuz und quer durch dick und dünn", minimum A4 oder größer, alle Stifte in dick und dünn. Bitte wie oben gesagt auf Dimension/Spielfeld sowie Linienqualität achten!


Wachsstift mit Spitze und Breitseite


Wachsstift, Spitze gezielt von A nach B



Die Gebogene: 

Die gebogene Linie ist eine gerundete, sich im oder gegen den Uhrzeigersinn zu sich zurückkrümmende Linie, die zu Ende gedacht eine Kreisform impliziert, die aber nicht immer zu Ende gezeichnet werden muss! Ihr eignet etwas um sich Kreisendes an, das sich entweder herauswindet oder zu sich zurückkrümmt.
Das Organische, das Weiche, das Wellenförmige, das Schwingen, das Schöne, Vibrieren, Ausweichen, einen Bogen machen, Umfahren, Ausschweifendes, Sinnliches, das Konzentrische, radial Ausgreifende ist ihr eigen.
Die Bögen haben verschiedene Radien, nähern sich in einem Extrem dann der Geraden an, im anderen Extrem dem Punkt, dem "Kringel" - alle diese Bögen sind zulässig als irgendwie gebogen. Versucht herauszufinden, von welchem Startpunkt aus ihr euch sicher fühlt, den Kreisbogen zu seiner Rückkehr zu sich selbst zu bringen. Ich persönlich spiele gerne mit den angenommenen Startpunkten eines gedachten Ziffernblattes und finde heraus, dass es sich bei 10 Uhr rechtsherum anders biegt, als ab 7 Uhr linksherum. Probiert es aus!

Aufgabe: "Kreiselnd bewegt" - Minimum A4, umrandetes Spielfeld, alle Stifte in dick und dünn und mit unterschiedlichem Druck



Die Unregelmäßige:

Dass sie eine eigene Art hat, zeigt sich schon bei den ersten Versuchen, sie zu zeichnen - aber: Sie hat natürlich Elemente der beiden oben vorgestellten Arten. Sie greift aus wie die Gerade, aber nicht so bestimmt, eher zögerlich, eher sich wieder zurücknehmend, sie kann sich wie der Bogen plötzlich und grundlos in andere Richtung krümmen und gleich wieder ins Gegenteil umschlagen, sie umfährt, windet sich, schlängelt sich, stößt an, kehrt um und geht doch schleichend auf Umweg voran, hat scheinbar kein Ziel und geht doch fast unbemerkt wohin - maW: Es ist die "Dramaqueen" der Linien!
Was sie für Kunst prädestiniert. Was sie spannend macht, was mich selbst immer wieder beim Zeichnen gespannt zuschauen läßt, was denn aus ihr werden will. Sie ist eigentlich die Grundlinie des Abenteuers und der Überraschung und damit eine eigene Welt.
Sie hat die Regeln der beiden anderen, aber verläßt sie unberechenbar nach Belieben. Etwas Unbestimmtes hat sie, oder durch Widrigkeiten Abenteuerndes hat sie, sie hat aber auch etwas Wachsendes, Strömendes, Windendes, was sie zur Verbündeten der Natur macht - wir werden es sehen und erleben!

Aufgabe: "Zunehmend aufgewühlter", min. A4, alle Stifte in dick und dünn. Teilt den waagerecht über- oder untereinander angelegten Linien eine zunehmende Aufregung mit, wie ein EKG oder die seismische Linie eines sich ankündigend Ausbruchs - oder umgekehrt: Einer Beruhigung...









TIP:

Habt ihr nun eine ganze Menge an A4 Bögen voller lebendiger Lineaturen geschaffen, könnt ihr euch mit einem kleinen, aber effektiven "Gestaltungtrick" eine Belohnung schaffen, die den Gedanken der Gestaltung des Spielfeldes einfach umkehrt: 

Schneidet euch aus einem Bogen Papier/Karton entweder ein sog. Passepartout, also ein viereckiges Loch oder eine Form aus (etwa "Kleidchen" als Hilfe, um Stoffdesigns zu entwerfen) und legt dieses Passepartout über interessante Stellen eurer Muster und Linien, fotografiert diese und sammelt auf diese Weise interessante Linienqualiäten!












Aufgabe: 


Zur Vorbereitung unserer nächsten Stunde am MO 24.2.25 bitte ich euch
die Vorübungen nach Daucher S. 19-23 sozusagen zum "Eingrooven"  zu machen. Lasst euch darin von den Vorlagen inspirieren und nutzt das gerade kennengelernte Repertoire an Linienarten. Alle Übungen kann man mit jeder Linienart für sich machen und dann noch in Kombinationen! 

Ziel der Aufgabe ist es nicht, einen Picasso oder Rembrandt zu kopieren, sondern die Idee der "Spielfeld-Aufteilung" mit eurem neuen Repertoire aufzugreifen und vor allem SEHEND zu erfahren, wie die Linien und deren Verdichtungen, Ballungen und Auflockerungen eine Fläche in Helligkeit/Dunkelheit gliedern und so zum Leben erwecken - etwas, das bei jeder BILDgestaltung ob in Fotografie, Malerei oder Zeichnung wichtig ist!


2) Helligkeits -Verteilung:

Das im deutschen etwas unzulänglich genannte "Blinzeln" (engl. "to SQUINT") habe ich euch gezeigt als hilfreiche Methode beim Betrachten einer realen Szene oder einer Abbildung, die Detailinformation zu reduzieren, um das GROSSE GANZE der Helligkeitsverteilung zu sehen (Abblenden des Blicks, Reduzieren der Details). Schaut durch das fast geschlossene Auge mit entspanntem, unfokussiertem Blick auf folgende Abbildungen und versucht so locker wie möglich nicht die Muster, Einzelheiten, Kanten, Formen der Gemälde und Zeichnungen zu sehen, sondern das Zusammenspiel von Hell und Dunkel, das ihr dann auf schnellen Skizzen mit den oben vorgestellten Linienarten festhaltet.


Min. A4, alle Stifte, alle Linienarten. Achtet bitte IMMER auf die Relationen, das Format der Vorlage: Hoch- oder Querformat und zeichnet das Format zuerst als Spielfeld, schaut, wo sich Helligkeit oder Dunkelheit verdichten.


Bittet postet im Laufe der Woche 2,3 der Ergebnisse jeder Übung in Whatapp, damit ich eure Ergebnisse hier festhalten kann! VIEL SPASS!







Picassos Verteilungen









Rembrandt:




















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